Die etwas anderen Superhelden
Ist die Welt noch zu retten? – „The Umbrella Academy“ klappt die Schirme zu
Und wieder in der falschen Zeitlinie: Nummer 5 (Aidan Gallagher, l.) und Lila (Ritu Arya) in einer Szene der letzten Staffel von „The Umbrella Academy“.
Quelle: COURTESY OF NETFLIX
Eine der beliebtesten Netflix-Serien geht zu Ende. In der sehr kurzen vierten Staffel der Superhelden-Saga „The Umbrella Academy“ (ab 8. August) rottet sich ein amerikanischer Mob zur „Reinigung“ zusammen. Und weckt Erinnerungen an ein Undatum.
Superhelden sind seit Supermans Jungfernflug im Frühjahr 1938 in der Heftchenreihe „Action Comics“ dazu da, Unschuldige vor dem Verbrechen zu bewahren, (Super-)Schurken zu besiegen und die bedrohte Welt zurück in die Angeln zu heben. Die psychisch labilen Helden der „Umbrella Academy“ von Sir Reginald Hargreaves aber bringen Welten an den Rand der Apokalypse, um sie nach einem rechtzeitigen Rücksprung in die Zeit doch noch zu retten. Wie sich in der finalen Staffel vier herausstellt, haben sich dadurch inzwischen zahllose Zeitlinien abgespalten, die sich auch noch zu vermischen beginnen, was alle, auch die ursprüngliche Zeitlinie gefährdet. Eine Multiversumsstory – das Superheldengenre lebt davon.
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Die etwas anderen Superhelden - Das muss man wissen
Kurze Einführung: Steve Blackmans von schwarzem Humor durchwirkte Netflixserie ist eine Verfilmung der Comics von My-Chemical-Romance-Sänger Gerard Way (Text) und Gabriel Bá (Zeichnungen). Darin hat Reginald Hargreeves (Colm Feore), der Mann mit dem Äußeren eines britischen Lords vergangener Zeiten, die Umbrella Academy zur Erziehung von sieben adoptierten Zöglingen gegründet, die alle am gleichen Tag von Müttern geboren wurden, die am Morgen noch nicht gewusst hatten, dass sie schwanger waren. Ein Mysterium.
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Diese seltsamen Kinder verfügen über besondere Talente und sollten fortan zum Wohl der Menschheit zusammenarbeiten. Kamen aber mit sich selbst nicht klar, geschweige denn miteinander. Und – ach ja – Hargreeves hatte, so stellte sich heraus, ein Geheimnis – er war ein recht empathiefreier Außerirdischer.
Alle Körperteile wieder da, alle Superkräfte weg
Zuletzt schien es Sir Reginald gelungen, das Universum zu resetten. Alle toten Umbrellas leben wieder, alle versehrten haben ihre fehlenden Körperteile zurück und der groteske Muskelprotz Luther ist sogar seine Affen-DNA losgeworden, die ihn klobig und ungestalt werden ließ. Was den Hargreeves-„Geschwistern“ allerdings ab jetzt auch fehlt, sind ihre Superkräfte. Zur Weihnachtszeit sechs Jahre später ist ein Treffen zum Geburtstag von Allisons (Emmy Raver-Lampman) Tochter Claire geplant. Die Umbrellas sind Normalos geworden: Kurierfahrer (Diego), Stangenstripper (Luther), Schauspielerin (Allison), Schülerlotse (Klaus) …
Nur Nummer 5 (Aidan Gallagher) und Diegos Frau Lila (Ritu Arya) sind noch im alten Aufgabenspektrum unterwegs. Sie spionieren die „Hüter“ aus, eine Verschwörergruppe, deren schrulliges Gründerpaar (Nick Offerman, Megan Mulally) glaubt, sich in einer falschen Zeitlinie zu befinden (zu Recht, denn Reggies Reset war nur ein Fake, eine weitere Zeitlinie). Die „Hüter“ haben Chapter in ganz Amerika gegründet für den Tag X der „großen Reinigung“. Merkwürdige Artefakte beweisen ihre Theorie einer „Zeitlinienkrankheit“ – DVDs aus Parallelwelten etwa, auf denen bekannte Filme mit anderen Darstellern besetzt sind. Etwas ist grundfalsch in der Welt.
Ähnlich blutig geht es nur bei den „Boys“ oder „Deadpool“ zu
Und muss nun endgültig korrigiert werden. Auf dem Weg dorthin lernen wir interessante Menschen kennen – Jennifer (Victoria Sawal), das Mädchen aus dem Bauch eines riesigen Tintenfischs etwa oder Abigail (Liisa Repo-Martell), Reggies in anderen Welten tote Frau, die in der neuen Zeitlinie lebt und über eine erstaunliche Begabung verfügt. Und es geht rau zu, nicht nur verbal. Für klassische Supies wie Superman, Spider-Man und Co. ist Töten keine Option. In „Umbrella Academy“ aber schleift Gevatter Tod permanent die Sense: Immer wieder wird Schurkenschaschlik angerichtet – einzeln oder in Gruppen. Blutiger geht es im Genre nur bei Amazons „The Boys“ über korrupte Superhelden zu. Und manchmal bei „Deadpool“.
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Lange her und sehr komplex - Der Zuschauer braucht eine Weile
Der Zuschauer fühlt sich anfangs überfordert. Zuletzt spielte „The Umbrella Academy“ mit zum Teil denselben Charakteren in verschiedenen Universen. Staffel drei endete in einem psychedelischen Hotel – was dort geschah, war ein exquisiter Mindf*ck ohne Drogen. Danach folgten zwei Jahre Pause. Zuschauers Erinnerungen tröpfeln also erst mal nur, ein Glück, dass es in Staffel vier wieder geradliniger zugeht.
Bis an ein opferreiches Ende. Ähnlich wie bei „Game of Thrones“ merkt man, dass die literarische Vorlage unvollendet ist. Way und Bá lassen auf sich warten. Und ähnlich wie beim Ende von „GoT“ entsteht in „The Umbrella Academy“ darob ein Eindruck von Hast. Wieso diesmal nur sechs Folgen, wenn man mit den bisher üblichen zehn lose Handlungsfäden und dieses Hauruckgefühl hätte vermeiden können. Tröstlicherweise werden – anders als „GoT“ – die Charaktere nicht bis zur Unkenntlichkeit verbogen.
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Die Serie spielt mit dem Gefühl, seit Brexit, Trump-Präsidentschaft, der Pandemie mit ihren Querdenker-Kohorten lebe man irgendwie „im falschen Film“. Am eindrücklichsten ist der Moment, in dem die „Hüter“-Führer ihre Chapter zur „Reinigung“ rufen. Ein eher selten gehörter Popsong – „Map of The Problematique“ von Muse – ist der Marschbefehl.
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Die „Hüter“ kommen rasch von überallher – bewaffnet mit Äxten, Hämmern und Schnellfeuergewehren. Eine zu allem bereite Bürgermiliz, mit der die Serienmacher Erinnerungen an den Dreikönigstag 2021 wachrufen, an den gewalttätigen Mob, der ins Kapitol einfiel.
Unweigerlich geht dann auch der Blick nach vorn: Was wird mit der fast 250-jährigen amerikanischen Demokratie passieren, wenn der Maga-Irre die Wahl trotz des Demokraten-Dreamteams Harris und Walz noch einmal gewinnt? Und welchen Song wird er spielen, wenn er sie verliert?
„The Umbrella Academy“, vierte Staffel, sechs Episoden, von Steve Blackman, mit Elliot Page, Aidan Gallagher, Robert Sheehan, Ritu Arya, Justin H. Min, Emmy Raver-Lampman, Tom Hopper, Colm Feore, David Castaneda, Nick Offerman, Megan Mullally (ab 8. August bei Netflix)