Die Leiden des Charles F. Kane: Citizen Kane (1941) - journalistenfilme.de (2024)

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Citizen Kanes filmhistorische Bedeutung ist unbestritten. Offener ist die Frage nach dem Standing dieses Klassikers für das Genre der Journalistenfilme.

Meilenstein oder Randnotiz? Schauen wir uns die journalistische Komponente(n) in Orson Welles Meisterwerk genauer an.

Text: Patrick Torma. Bildmaterial: Arthaus.

Citizen Kane also. Dieses überlebensgroße Stück Kinogeschichte, das in der Kritik ohne den respekteinflößenden Zusatz „bester Film aller Zeiten“ gar nicht zu existieren scheint. Orson Welles epochales Porträt über den (semi-)fiktiven Zeitungsmogul Charles Foster Kane, von dem es heißt, sein Leben sei „besser als jede Schlagzeile“ gewesen. Jener Kane, der mit seinem letzten Wort eines der berühmtesten Filmzitate geschaffen hat.

Citizen Kane war bereits Gegenstand unzähliger Betrachtungen. Jeder Aspekt des Films wurde seit 1941 ausgeleuchtet. Deshalb lassen wir Entstehungsgeschichte, Produktionsnotizen, Stilmittel etc. weitgehend außen vor. Stattdessen fokussieren wir uns auf die journalistische Komponente, die sich in Citizen Kane über mehrere Ebenen erstreckt.

Wir beginnen auf der inhaltlich-deskriptiven Ebene, bei der Hauptfigur: Was für ein Journalist ist Charles Foster Kane? Wie verändert sich seine Auffassung vom Journalismus? Welches generelle Bild vermittelt der Film? Hiernach stellen wir den Bezug zur Realität her und schauen auf das offensichtliche journalistische Vorbild, William Randolph Hearst, um abschließend die Bedeutung von Citizen Kane für das Genre der Journalistenfilme einzuordnen.

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Das berühmteste Ein-Wort-Filmzitat als Ausgangspunkt einer Recherche

Der Aufhänger des Films ist berühmt-berüchtigt. Zeitungsmagnat Charles Foster Kane (Orson Welles) ist im Alter von 70 Jahren verstorben. Nun versuchen die Nachrufe, sein Leben in Worte zu fassen. Lässt sich sein Wirken am Ende vielleicht sogar auf ein einziges verdichten? Kanes letzter Ausspruch auf dem Totenbett gibt Anlass zum Rätselraten: Was, bitteschön, bedeutet „Rosebud“? Jerry Thompson, Journalist für die Wochenschau News of the March, erklärt sich bereit, wichtige Wegbegleiter*innen des legendären Medienunternehmers auszuquetschen: „Ich werde jeden ausgraben, der noch lebt.“

In Rückblenden werden wichtige Stationen in der Biografie der Hauptfigur nacherzählt: von der Kindheit in ärmlichen Verhältnissen an über den Aufstieg zum mächtigsten Meinungsmacher der USA bis zum einsamen Ende im steingewordenen Luftschloss Xanadu. Der journalistische Plot des Films beginnt in Charles Foster Kanes Zwanzigern. Von seiner überraschend zu Reichtum gekommenen Mutter in die Obhut eines Vormunds gegeben, erbt Kane ein Wirtschaftsimperium, das Grundstücke, Unternehmen und andere Anlageobjekte wie eine Goldmine umfasst. Ausgerechnet ein mehr schlecht als recht laufendes Tagesblatt weckt das Interesse des jungen Mannes. Es müsse Spaß machen, eine Zeitung zu leiten, mutmaßt Kane in Gegenwart seines Mentors, der vom Glauben abfällt.

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„Ich weiß nicht, wie man eine Zeitung führt.“

Der Ersatzvater kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus: Als neuer Verleger des New York Inquirer teilt Kane gegen das kapitalistische Raubrittertum mächtiger Großkonzerne aus, dabei macht er auch vor Gesellschaften aus der eigenen Erbmasse keinen Halt. „Ich weiß nicht, wie man eine Zeitung führt. Ich experimentiere noch“, kokettiert der Blattmacher. Doch er gefällt sich in der Rolle des Watch Dogs, der die Wirtschafts- und Politbosse lautstark anbellt. Kane formuliert zwei Leitprinzipien, die er auf der Titelseite seines Inquirers abdrucken lässt: Allein die Wahrheit möge der Maßstab allen publizistischen Handelns sein, Einzelinteressen dürften nicht über eine Veröffentlichung entscheiden. Ferner sehe sich Kane als ein Verfechter der Menschen und ihrer Rechte.

Schon früh kollidiert dieses idealistische Ansinnen mit dem ökonomischen. Immer öfter hievt Kane Klatsch- und Sensationsmeldungen in die Ausgabe. „Wir sind eine seriöse Zeitung“, protestiert der Chefredakteur. Es ist sein letzter Einwand, bevor er von Kane auf die Straße gesetzt wird. „Ich muss eine Zeitung voll kriegen und verkaufen“, kanzelt er seinen Mitarbeiter ab. Das erste Prinzip ist ausgehöhlt, der Inquirer wird zum Boulevard-Blatt. Die Verkaufszahlen geben dem Verleger recht: Von ein paar zehntausend Exemplaren steigert sich der Absatz auf 800.000 Stück. Kane begnügt sich nicht damit, die Konkurrenz hinter sich zu lassen, er beraubt sie ihrer Stimme, indem er ganze Redaktionen abwirbt. Machtziel ist das Meinungsmonopol. Auf dem Höhepunkt wird der Mogul über 37 Zeitungen und Rundfunksender herrschen, wie es im Nachruf heißt.

Es dauert nicht lange, und die Ideale sind schnell antiquiert

Mit wachsendem Einfluss wird Charles Foster Kane immer anmaßender. In seinen Blättern schießt er nicht nur gegen Politiker, er zwingt ihnen seine Sichtweisen auf, wirkt mit seiner Reichweite auf politische Abstimmungen und Wahlen ein. Seine Macht reicht so weit, dass er über Krieg oder Frieden entscheidet: Der Krieg der USA gegen die Spanier 1898 wird von ihm herbeigeschrieben. „Sie denken das, was ich will“, poltert er in seinem Größenwahn.

Wer nicht denkt wie Kane, der wird medial abgesägt. Womit sich auch der zweite Grundsatz seiner Sturm & Drang-Phase erledigt hat. Sein Jugendfreund und langjähriger Mitarbeiter Jed Leland (Joseph Cotton) kramt die niedergeschriebene Erklärung in einem Streit über die journalistische Integrität der Zeitung Jahre später wieder heraus. Kane entledigt sich dieses Echos aus der Vergangenheit, in dem das Papier wutentbrannt zerreißt. Ideale wie diese seien in einer modernen Welt antiquiert.

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Von Charles Foster Kane zum Wolf of Wallstreet Jordan Belfort

Charles Foster Kane wird selbst zur Nachricht. Sein pompöses Privatleben füllt die Gazetten, sein aufwändiger Lebensstil färbt auf seine Mitarbeiterführung ab. Die Begrüßung neuer Redakteure wird zum rauschenden Fest, es gibt Wein, „Weiber“ und Gesang – eine Szene, die Martin Scorsese über 70 Jahre später in Wolf of Wallstreet rezitiert, auch wenn die Bürofeierlichkeiten des Betrugs-Gurus Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) exzessiver ausfallen.

Gleichzeitig wird Kanes Machthunger immer größer: Er will nicht mehr nur diktieren, sondern unmittelbar Entscheidungen treffen. Den Publizisten drängt es in die Politik, doch ausgerechnet seine eigene Interpretation vom Journalismus bringt ihn zu Fall: Der konkurrierende Boulevard schlachtet seine Fehltritte aus, seine Kandidatur zum Gouverneur scheitert. Kane reagiert mit einem Muster, das uns dieser Tage nur allzu bekannt vorkommt. Über seine Zeitungen streut er die Mär vom Wahlbetrug („Fraud at Polls!“), doch der einstige Wortführer hat den Zenit seiner Glaubwürdigkeit überschritten. Kane driftet, von allen guten Freunden verlassen, seinem Ende entgegen.

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Citizen Kane: Kein Lieblingsfilm von Journalist*innen

Citizen Kane verkehrt die journalistische Heldengeschichte ins Negative: Der Film erzählt vom moralischen Verfall eines Verlegers, der den Pfad der publizistischen Tugend verlässt, weil er den Verlockungen von Geld, Ruhm und Macht erliegt. Er zeichnet ein sehr desillusionierendes Bild von einer Branche, in der Ideale nicht mehr wert sind als die Summen auf dem Gehaltscheck. Ganze Heerscharen von Reportern folgen dem Ruf des Geldes. In den Redaktionen wird viel gesoffen, und der Zynismus gehört zum guten Ton.

Als „Wunderkind“ Hollywoods kennt Orson Welles die Gepflogenheiten des Boulevards zu gut. Auch wenn sich, gerade rückblickend, autobiografische Züge in dem Film finden lassen: Vorbild für Charles Foster Kane (und somit Adressat der Kritik) ist der US-amerikanische Medienzar William Randolph Hearst (1863 bis 1951). Hearst besitzt um das Produktionsjahr von Citizen Kane rund 50 Tages- und Wochenzeitungen, ein Dutzend Radiosender sowie einige weitere, zum Teil global agierende, Medien- und Nachrichtenunternehmen. Sein Enkel, William Randolph Hearst III., führt sein Erbe bis heute fort und erwirtschaftet mit Hearst Communications, Inc. Umsätze in zweistelliger Milliardenhöhe.

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Der echte Charles Foster Kane: William Randolph Hearst

Hearst ist, neben Joseph Pulitzer, seinem ärgsten Konkurrenten, der einflussreichste Verleger seiner Ära – zu Zeiten von Citizen Kane aber auch eine umstrittene Persönlichkeit. Sein ständiges Trommeln in seinen Medien, seine unersättliche Gier nach Macht, sein Journalismus der Marke „ohne Rücksicht auf Verluste“, haben ihn in Verruf gebracht. Etwa erweist sich seine Bewunderung für Adolf Hitler und das faschistische Deutschland als Bumerang, jetzt, wo die wahren Absichten des Diktators für alle Welt erkennbar sind. In der Wochenschau-Sequenz zu Beginn von Citizen Kane ist Charles Foster Kane ganz kurz neben Hitler zu sehen. Es sind Bilder einer offiziellen Auslandsreise. Diese Szene ist ein vergleichsweise kleiner Seitenhieb. Zwischen der Filmfigur und dem realen Vorbild gibt es viel offensichtlichere biografische Parallelen.

Charles Foster Kane ist ein Schulabbrecher ohne journalistische Vorbildung, als er seine erste Zeitung übernimmt. William Randolph Hearst ist zum Zeitpunkt seines Aufstiegs zum Geschäftsführer bereits in die Verlagsarbeit eingebunden, belegt in Harvard ein Journalistikstudium. An der Elite-Universität fällt der junge Hearst jedoch durch das Sponsoring von Bierpartys und Streiche an den Dozenten auf, die ihm einen Verweis und den Makel eines nie abgeschlossenen Studiums einbringen.

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Vom Anwalt der kleinen Leute zum Meinungsmacher und Kriegstreiber

Mehr vom Tatendrang als von der Theorie beseelt, nimmt Hearst in seinen Medien zunächst eine anwaltschaftliche Haltung ein. Wie Charles Foster Kane schlägt sich Hearst auf die Seite der einfachen Leute, er versteht es, ihnen aus der Seele zu sprechen. Freilich steckt in diesem zur Schau gestellten Idealismus eine Menge Kalkül. Die unterprivilegierte Bevölkerungsschicht ist eine breite, mit vielen potenziellen Lesern. Hearst pflegt einen lauten, effekthaschenden Stil. Zwar ist der Sensationalismus keine Erfindung des Medienmagnaten, doch im Schlagabtausch mit Pulitzer um Leser und Auflagen, kultiviert und „meistert“ er diese journalistische Spielart – die Entstehung des Begriffs „yellow press“ fällt in die Ära von Hearst und Pulitzer.

Schon früh zeigt sich bei William Randolph Hearst die Tendenz, sich einmischen und die öffentliche Meinung beeinflussen zu wollen. Charles Foster Kanes anmaßendes Brüsten, er könne den US-amerikanisch-spanischen Krieg befeuern, fußt auf wahren Begebenheiten.* „Du lieferst die Gedichte, ich liefere den Krieg“, verkündet er. Im Englischen lautet die Zeile wie folgt: „You provide the prose poems; I’ll provide the war“. Ein ähnliches Zitat ist von William Randolph Hearst überliefert. Mit den Worten „You furnish the pictures, and I’ll furnish the war“, soll der Verleger seinen rückreisewilligen Auslandskorrespondenten Frederic Remington zu einem Verbleib in Kuba bewegt haben.

* Warum der Journalistenfilm gerade 1898 das Laufen lernt: Mehr im Beitrag zum Stummkurzclip War Correspondents.

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Hearst liefert ein gruseliges Lehrbeispiel der Kriegspropaganda

Im Februar 1898 explodiert vor der kubanischen Küste das Schlachtschiff USS Maine, 220 Menschen werden durch die Detonation getötet. Die Hearst-Medien schüren Ressentiments gegen Spanien, das im territorialen Clinch mit den Vereinigten Staaten liegt: Die spanische Marine soll die USS Maine torpediert haben, schreiben die Reporter – die Überschrift Remember the Maine, to hell with Spain ist ein gruseliges Musterbeispiel medialer Kriegspropaganda. Heute gehen die Historiker davon aus, dass die Explosion durch einen Kessel- oder Schwelbrand ausgelöst wurde, der auf gelagerte Kampfmittel übergriff. Der Krieg kommt jedenfalls Hearst (und auch Pulitzer) sehr gelegen, weitere Berichte über vermeintliche Konzentrationslager der Spanier auf Kuba kurbeln die Auflage enorm an.

Weitere Fußnoten in der Biografie Hearsts, derer sich Orson Welles bedient, sind dessen politische Ambitionen – die, wie im Film, erfolglos, bleiben – und sein Hang zum Protz. 1919 beginnt er mit dem Bau seiner Vision von Hearst Castle, das Anwesen mit Blick auf den Pazifik und dem größten Privatzoo der Welt im Vorgarten ist die Blaupause für Charles Foster Kanes luxuriös-ruinöse Zufluchtsstätte Xanadu. Wie Xanadu bleibt Hearst Castle unvollendet und steht damit sinnbildlich für die Maßlosigkeit des Hausherren.

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Eine Frau wird zur Zielscheibe: Die Schauspielerin Marion Davies

Eine weitere Parallele findet sich im Umgang beider Männer mit den Karriere-Ambitionen ihrer Geliebten. Im Film lässt Charles Foster Kane ein Opernhaus errichten, damit seine zweite Ehefrau Susan, eine nur mittelprächtig talentierte Sängerin, wortwörtlich eine Bühne erhält. William Randolph Hearst unterhält zeitlebens eine Beziehung mit der Schauspielerin Marion Davies. Für sie gründet er Cosmopolitan Production, eine Firma, die eine Reihe von romantischen Filmen produziert, in denen Hearst seine Muse so gerne sieht. Im Vergleich zur fiktiven Sängerin Susan ist Marion Davies aber eine fähige Vertreterin ihres Fachs. Einige Filme mit ihr in der Hauptrolle schaffen es tatsächlich zu Kassenhits.

Davies befindet sich zur Veröffentlichung von Citizen Kane bereits im schauspielerischen Ruhestand, nichtsdestotrotz wirkt sich der Film negativ auf ihren Ruf aus. Orson Welles betont in Interviews zwar immer wieder, dass Charles Foster Kane längst nicht nur auf William Randolph Hearst beruht, sondern mehrere Biografien vereint, doch die Öffentlichkeit erkennt in Susan vor allem jedoch Marion Davies. Welles zeigt sich einige Jahre später reumütig: Die Figur als unbegabte Künstlerin anzulegen, die obendrein noch ein schweres Alkoholproblem entwickelt, sei ganz sicher keine Glanzleistung von ihm gewesen.

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William Randolph Hearst geht gegen Citizen Kane vor

Die Angriffe gegen seine Langzeitaffäre, aber freilich auch auf das eigene Ego veranlassen Hearst dazu, eine Kampagne gegen den Film und das verantwortliche Produktionsstudio RKO zu starten. Wie schmutzig diese Kampagne geführt wird, darüber gibt es unterschiedliche Berichte. In der Wikipedia heißt es, Hearst habe Welles öffentlich als Kommunisten „denunziert“, anderen Darstellungen nach habe er zwar ein Dossier über die politische Gesinnung des als linksliberalen geltenden Filmemachers anfertigen lassen, dieses aber letztlich nie verwendet. Ein anderes Narrativ besagt, Hearst habe seine Schreiber*innen gar nicht erst groß einschwören müssen, weil sie Welles in vorauseilendem Gehorsam attackierten – derart unbefleckt dürfte Hearst allerdings nicht gewesen sein, wie neuere Recherchen bestätigen. Einige Mitarbeiter*innen erinnern sich jedenfalls, Welles Privatleben bis ins kleinste Detail ausgeleuchtet zu haben.

Was überliefert ist: Der Verleger bietet RKO an, sämtliche Negative des Films für eine Summe von 800.000 US-Dollar aufzukaufen, was das Studio jedoch ablehnt. Hearst reagiert mit den Waffen eines mächtigen Medien-Tycoons: Seine Zeitungen schweigen Citizen Kane tot. Eine Zeit lang gilt ein Besprechungs- und Werbestopp für sämtliche RKO-Produktionen. Auch setzt er Kinobetreiber unter Druck, Citizen Kane nicht ins Programm aufzunehmen.

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Citizen Kane geht (nicht nur) dank Hearst an den Kinokassen unter

Was Hearst in letzter Instanz nicht unternimmt, sind rechtliche Schritte gegen RKO – die Erfolgsaussichten sind gering. Welles und Mankiewicz waren als Autoren schlau genug, Charles Foster Kane mit genügend Unterscheidungsmerkmalen auszustatten. Außerdem lässt der Regisseur und Hauptdarsteller keine Gelegenheit aus, die vielschichtigen Einflüsse der Figur herauszustellen. Unter anderem nennt er die Namen berühmter Filmproduzenten und Unternehmer wie Howard Hughes, Jules Burlatour und Samuel Insull. Letzterer war bekannt dafür, dass er seiner Tochter ein eigenes Opernhaus gebaut hatte …

Um Hearsts Anti-PR-Kampagne ranken sich Mythen. Dazu passt, dass Citizen Kane an den Kinokassen bekanntlich zum Flop gerät. Bei der anschließenden Oscar-Verleihung speist ihn die Academy nach neun Nominierungen im Vorfeld mit dem Goldjungen für das beste Drehbuch ab. Das einstige Wunderkind Welles bleibt ein unvollendetes Genie. Ein Teil dieses Misserfolgs ist auf Hearst „Bemühungen“ zurückzuführen. Man darf allerdings nicht vergessen: Als Film ist Citizen Kane seiner Zeit voraus – das zeitgenössische Publikum kann mit der unsympathischen Hauptfigur und dem insgesamt eigenwilligen Beitrag wenig anfangen. Das Prädikat „Meisterwerk“ verdient sich der Film erst im Laufe der Jahre.

Die Bedeutung von Citizen Kane im Kanon der Journalistenfilme

Heute wird sein Ruf als „bester Film aller Zeiten“ durch immer neue Kritiker-Umfragen zementiert. Doch wie sieht es mit seiner Bedeutung für das Genre der Journalistenfilme aus? In der gefühlten Hackordnung rangiert Citizen Kane hinter (modernen) Klassikern wie Die Unbestechlichen oder Spotlight, die gerade deshalb so gerne rezipiert werden, weil sie die Erinnerung an die Notwendigkeit sowie die Leistungsfähigkeit der Vierten Gewalt wachhalten und bis heute viele Journalist*innen zur Nachahmung inspirieren. Citizen Kane hingegen ist das abschreckende Beispiel eines entrückten Berufsethos.

Hinzu kommt: Dem Film fehlen weitere Merkmale, die Journalistenfilme normalerweise mitbringen. Weder erzählt Citizen Kane von einem journalistischen Scoop, noch stellt er die Arbeit von Journalisten dar. Wir sehen lediglich die Resultate von Kanes Pistolero-Journalismus – die da wären: Große, schmissige Headlines und enttäuschte Hoffnungen.

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Ein Bindeglied zwischen Screwball und Film Noir-Journalismus

Fragt man den Journalismus-Professor Matthew C. Ehrlich, dann nimmt Citizen Kane dennoch eine exponierte Stellung innerhalb der Zeitungsfilme ein. Der Film, schreibt Ehrlich in seinem Buch Journalism in the Movies, markiere die Transformation des Genres, das sich vom beschwingten Tonfall der Screwball-Komödien der 1930er-Jahre löst und stattdessen die Motive des Film Noir vorwegnimmt. So mutiert der Journalist als Filmfigur in den Folgejahren zum zynischen Antihelden und/oder halbseidenen Gegenspieler.

Elemente der Screwball-Komödie sieht Ehrlich etwa im trotteligen Chefredakteur, den Charles Foster Kane bei seinem Amtsantritt in der Redaktion des New York Inquirer antrifft, vor allem aber in der berühmten Frühstückstisch-Montage, in der sich der stets abwesende Kane und dessen erste Frau Emily einen zeitlich gerafften Schlagabtausch liefern. Einflüsse, die aus der Feder des komödienerprobten Co-Autors Herman Mankiewicz stammen sollen.*

* Im Dezember 2020 erschien auf Netflix mit Mank der langerwartete neue Film von David Fincher. Der Filmemacher hat sich bereits für diesen Blog mit Beiträgen wie Gone Girl oder Zodiac – Die Spur des Killers „empfohlen“. Hinter dem Titel Mank verbirgt sich sein Biopic über Herman J. Mankiewicz (gespielt von Gary Oldman), seines Zeichens Co-Autor von Citizen Kane. Dessen Streitigkeiten mit Orson Welles über die Credits sind – wie so viele Geschichten um diesen Film – legendär. Mit Thomas Laufersweiler von SchönerDenken haben wir uns Mank genau angesehen – mehr in einer Episode von journalistenfilme.de – der Podcast.

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Der Einfluss des Co-Autoren Herman “Mank” Mankiewicz

Mankiewicz verfügt zudem über journalistische Erfahrung: Als Theaterkritiker die New York Times soll er einst betrunken über einen Verriss eingeschlafen und gefeuert worden sein – in einer Schlüsselszene passiert Kane-Kompagnon Jed Leland genau das: Weil er seine journalistischen Ideale nicht verraten will, bespricht er das Stück von Kanes Frau Susan in schonungslosen Worten. Leland muss sich für diese ehrliche Kritik jedoch Mut antrinken und verpennt deswegen den Redaktionsschluss. Kane bringt die angefangene Schmähkritik zu Ende und entlässt seinen Freund anschließend.

In diesen Szenen schimmert der schnell-sprechende, gewitzte Typus des Screwball-Reporters durch. Stilistisch wie narrativ mutet Citizen Kane wie ein früher Vertreter des Film Noir an (den offiziellen „Startschuss“ für die Ära des Film Noir setzen Historiker mit Die Spur des Falken an, der Bogart-Klassiker erscheint im selben Jahr wie Citizen Kane).

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Sorry, Citizen Kane – die Fixsterne des Genres sind andere

Kane ist ein Antiheld mit einer zynischen Sicht auf die Dinge, mit Susan gibt es eine Frau, die sich als „fatal“ für dessen politische Ambitionen erweist. Bildgestaltung und Beleuchtung setzen auf starke Kontrastierungen, die im Anfang wie im Finale auf „Schloss Xanadu“ unheilvoll mit expressionistischen Motiven verknüpft werden. Die Rahmenhandlung – Reporter Thompson versucht den Mann Charles Foster Kane zu ergründen – erzählt eine klassische Detektivgeschichte. In den kommenden zwei Jahrzehnten wird Hollywood verstärkt auf Kriminalerzählungen setzen, gerne mit Journalist*innen in der Ermittler-Rolle.

Hat Citizen Kane damit eine Trope des Journalistenfilms geboren? Eher reanimiert. Mit dem Tonfilm hörte man die Leute für eine Weile gerne reden, doch bereits in Stummfilm-Zeiten hatten sich Reporter*innen gehäuft Verbrechern an die Fersen geheftet. In Citizen Kane verschmelzen zwei Spielarten des Reporterfilms, Orson Welles Meisterwerk ist ein Bindeglied, das sich – auch wenn es weder die Screwball-Komödie noch den Film Noir definiert – rein zeitlich hervorragend in einer Progressionsreihe einfügt. Seine filmhistorische Bedeutung allein verleiht ihm diese Bindekraft, die zur Überhöhung verleitet. Im Kanon der Journalistenfilme nimmt Citizen Kane keine Vorbildfunktion ein, sondern eine Sonderrolle. Dieses Urteil wird der Film schon verkraften.

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Author: Terence Hammes MD

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